Extremismus

Aus Prophetia
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Viele Menschen werden von einem Irrtum gefangen gehalten, der sie oft um einen guten Teil ihrer irdischen wie auch einstigen Seligkeit bringt. Dieser Irrtum besteht darin, dass die Menschen, wenn ihnen sehr vieles gegeben wurde, häufig der Meinung sind, alles zu haben; einige aber wieder sind der Meinung, dass sie noch immer nichts erhalten haben, und daher einem durchlöcherten Fass gleichen, in welches man vergebens schöpft.

Der Glaube, alles zu haben, weil Gott einem Unendliches gegeben habe: So jemand hätte dann den scheinrechtlichen Grund, zu sagen: "Wenn mir die Unendlichkeit treu geworden ist, was sollte ich noch empfangen, das mehr wäre denn diese?" – Das ist dem äußeren Schein nach richtig, aber nicht auch der inneren Wahrheit aus Gott, der nicht nur Herr einer Unendlichkeit ist, sondern einer Unendlichkeit von Unendlichkeiten. Alles und jedes einzelne birgt Unendliches in sich, da es aus Gott ist, dem ewigen Urgrund aller Dinge, der in allem und jedem unendlich ist. Wenn irgendein Mensch ein noch so großes Werk zuwege gebracht hätte, so wäre dasselbe dennoch endlich, weil sein Urheber ein endlicher ist. So aber Gott das kleinste Werk ins Dasein ruft, und ist dieses auch seinem äußeren Umfang nach endlich und eng begrenzt von allen Seiten, so ist es aber trotzdem unendlich seinem inneren Wesen nach, da es schon Unendliches seiner Art in sich birgt. Daher irren die Menschen, wenn sie sehr vieles, von Gott aus Unendliches, empfangen haben und dann glauben, auch schon alles zu haben - da auf diese Art Unendliches sicher noch immer nicht alles ist.

Der Glaube, noch immer nichts erhalten zu haben: Hier spricht sich ein offenbarer Undank bei jenen aus, die von Gott aus Unendliches empfangen haben, aber noch immer meinen, nichts zu haben. Diese Menschen haben noch nicht die leiseste Ahnung vom inneren Wert der Dinge. Sie zählen dieselben nur nach ihrem äußeren Volumen und kümmern sich wenig oder gar nicht um das wertvolle innere Wesen der Dinge, bedenken aber dabei nicht, dass die Schale der Nuss nicht genießbar ist, sondern nur die innere ölige Frucht. Solche Menschen geizen und scharren alles Mögliche zusammen, und bei aller ihrer Vermögen hungern sie gleich einem Geizhals, der bei allen Fässern Gold an einer dürren Brotkrume nagt, und selbst dann noch denkt, ob es um diese Brotkrume nicht schade sei.

Es handelt sich hierbei um zwei Extreme. Die gerechte Mitte aber soll eine wahrhaft kindliche sein, die nicht rechtet nach dem Maß der Gabe, sondern nach dem Bedürfnis derselben und stets dankbar annimmt, wie und was immer der Vater gibt. Ein rechtes Kind ist heiter, dankbar und zufrieden mit jeder Gabe, die es empfängt aus den Händen des guten Vaters und hat kein Bedürfnis über das Empfangene hinaus, da es weiß, dass der Vater ihm allezeit geben wird, so viel es nur immer bedarf. Denn es weiß, dass der Vater sehr reich und daher das Kind auch allezeit sehr wohl zu versorgen imstande ist. Auch wird dieses Kind nicht unzufrieden sein mit der Gabe. Denn es ist noch allezeit hinreichend gesättigt worden und weiß daher, dass es nicht zu wenig empfangen hat, weiß aber auch, dass der Vater sehr reich ist, daher auch allezeit geben kann, was das Kind bedarf, und weil der Vater auch überaus gut ist, daher auch allezeit geben will, was das Kind nur immer benötigt. Und weil der Vater aber auch zugleich ein sehr weiser Vater ist, so gibt er dem Kind auch nur das und so viel, als demselben allezeit frommt. Daher soll man nicht denken, man habe alles empfangen, und auch nicht, man habe zu wenig oder gar nichts empfangen.[1]

Siehe auch

Quellenverweise

  1. Jakob Lorber, Himmelsgaben 1.401101.1-8